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Poetry oder Pötry? (Artikel von Mike Gorden)
Poetry oder Pötry? (Artikel von Mike Gorden)

Poetry? Vorsicht, Satire!

Poesie heißt ja auf neudeutsch seit einiger Zeit bereits »Poetry«. Daß damit die Qualität derselben auf eine neue Ebene gehoben wird, wage ich nach eingehendem Studium der entsprechenden Rubriken in Tageszeitungen, Magazinen und den hiesigen Zeitlinien zu bezweifeln.

Eine gut gesetzte Pointe, die in Reimform daherkommt, kann ich durchaus genießen. Wilhelm Busch und Heinz Erhardt waren Meister derselben. Unglücklicherweise sind sie beide tot und mit dem Nachwuchs hapert es ein wenig.

Dichter sein bedeutet nicht, daß man gerne dichter wäre. So manchem, der den ungebremsten Fluß seiner Worte in Reime setzt (und für den ich mir wünschte, daß nicht er, sondern sein Mund dichter wäre), ist dieser Unterschied nicht klar.

Für die Sorte Dichtkunst, die von solchen Menschen produziert wird, benutze ich den Ausdruck »Pötry« oder auch »Pösie« (gesprochen: Pö-si-e). Pösie kommt unter dem Deckmantel der Kunst einher, wird aber dem selbst gesetzten Anspruch nicht gerecht.

Da werden Worte zusammengebracht, die sich sonst ein Leben lang nicht kennenlernen würden. Da reimt sich plötzlich ‘Natascha’ auf ‘Flaschen’ und ‘Nowosibirsk’ auf ‘erwürgt’. Klingelts da bei Freunden deutschen Liedguts?

Bei aller gebotenen Einfachheit beherrschen professionelle Schlagertexter wie Bernd Meinunger und Michael Kunze wenigstens ihr Geschäft und leisten sich keine solchen Klopfer. So mancher Sänger, der meint, sein Lied ‘mal eben’ selbst in Worte setzen zu können, tut das nicht. Auch wenn er ansonsten erfolgreich daherkommt, wie man oben sieht. Außer Marius haben sich auch Herbert, Xavier, Rauschenberger, Xavas und viele andere solche Fremdschäm-Pösie erlaubt. Reinhard Mey nicht. Udo Jürgens auch nicht. Aber die Herren spielen in einer anderen Liga.

Gute, gereimte Poesie kann zum Beispiel so aussehen:

»In nur vier Zeilen was zu sagen,
erscheint zwar leicht, doch es ist schwer!
Man braucht ja nur mal nachzuschlagen:
die meisten Dichter brauchten mehr.«
(Heinz Erhardt)

Heinz Erhardt war ein Meister der Reimkunst. Seine Werke wirken wie aus dem Ärmel geschüttelt und verbergen durch ihre scheinbare Leichtigkeit, welch schwere Arbeit in ihnen steckt. Unsere neudeutschen Liedermacher müssen sich da sehr nach der Decke strecken, und erreichen sie oft dennoch nicht. Die Einordnung liegt dann irgendwo zwischen traurig und bedauernswert.

Nicht nur die fehlenden Reime geben Anlaß zu heiterem Gruseln. Gar mancher stellt die Worte in seinen Zeilen in dem Bestreben, die richtige Satzrhythmik zu finden, so oft um, daß am Schluß der komplette Satz dahinter sich ins Nirwana verflüchtigt:

»So sich biegt qualvoll zurecht der schöne Schein,
damit’s am End’ noch irgendwie sich reimt.«

Eine unerreichte Meisterin dieser gebogenen Kunstform war Friederike Kempner (1836-1904), auch bekannt als der ‘schlesische Schwan’. »Zeitgenossen und Nachwelt schätzten die markante Persönlichkeit nicht zuletzt als Klassikerin des unfreiwilligen Humors … Der rituelle Vortrag ihrer Gedichte diente bei geselligen Anlässen unverbrüchlich zur allgemeinen Erheiterung.«* Kostprobe gefällig?

»Amerika, das Land der Träume,
Du Wunderwelt so lang und breit,
Wie schön sind Deine Kokosbäume,
Und Deine rege Einsamkeit!«*

In diesen vier Zeilen komprimiert sich Pösie vom Allerfeinsten! Die Autorin bringt es fertig, in nur vier Zeilen so viele ungeschriebene Regeln zu brechen, daß ihre Analyse einer Diplomarbeit bedarf.

*Quelle: Gutenberg Projekt des Spiegel

Auch unter meiner jährlichen Weihnachtspost finden sich gereimte Werke, die mir bereits beim Lesen das Schampurpur ins Gesicht treiben. Bei Verwandten und Freunden reißt man sich dann ja zusammen und applaudiert höflich. Warum allerdings Leute viel Geld dafür ausgeben, um ihr eigenes sprachliches Unvermögen in eine Zeitungsanzeige zu gießen, hat sich mir nie erschlossen.

Und was treibt ein ansonsten seriöses Printmagazin um, den gereimten Unsinn jeden Sonntag unter der Rubrik »Poetry« zu veröffentlichen. Mit dem Vermerk natürlich, daß in unserem schönen Lande noch gar so viele unentdeckte Talente schlummern.

Diese werden wohl auch weiter unentdeckt bleiben. Entdeckt werden meist die Schreihälse, die ihre Persönlichkeit auf dem Podest ihres Egos vor sich her tragen müssen, damit die anderen sie ohne Lupe erkennen können.


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