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Cats Cradle 2

Cats Cradle – Rezension ****

Dieser Roman von Kurt Vonnegut wurde als »Katzenwiege« 1987 auf Deutsch übersetzt, ist aber leider überall vergriffen und nur antiquarisch zu Mondpreisen zu bekommen. Daher habe ich mir die englische Version geholt. Die Erstauflage ist von 1963. Die vorliegende Auflage von Penguin ist allerdings neuerem Datums.

Das Cover ist hübsch, bunt und sicherlich im Detail durchdacht. Dennoch verwirrt es auf den ersten Blick, bis man all die eingearbeiteten Feinheiten und Andeutungen entdeckt. Das dauert zu lange, um eine schnelle Kaufentscheidung zu treffen. Man muß das Buch schon wollen.

Warum wollte nun gerade ich dieses Buch wollen?

Vor einigen Jahren habe ich aufgrund eines intensiven Traums die Kurzgeschichte Eis XXIX geschrieben. Darin geht es um eine Modifikation gefrorenen Wassers, die dichter ist als Wasser und erst bei über 80°C schmilzt. Sie gelangt in die Umwelt und löst eine Apokalypse aus.

Vor einigen Monaten nun stieß ich in den Weiten des Internets auf einen Textauszug, in dem es um eine Modifikation namens »Ice 9« ging, die ähnliche Eigenschaften aufwies wie mein Eis 29. Ich habe recherchiert und bin auf diesen Roman gestoßen.

Ich habe ihn gekauft, weil ich besorgt war, daß ich – wissentlich oder unwissentlich – Inhalte eines anderen Werkes kopiert habe. Glücklicherweise habe ich beim Lesen bemerkt, daß dies eindeutig nicht der Fall ist. Beide Geschichten unterscheiden sich sehr und keine Passage des Romans löst in mir auch nur den Ansatz eines déjà-vu Gefühls aus.

Es ist so, daß zwei Personen einfach eine ähnliche Idee hatten und sie sehr unterschiedlich umgesetzt haben.

Nun aber zum vorliegenden Roman. Mit gut 200 Seiten entspricht er im Umfang dem, was man in jener Zeit an Science Fiction schrieb. Zum Inhalt:

Der Wissenschaftler Dr. Felix Hoenikker hat die Atombombe mit entwickelt. Zum Zeitpunkt der Geschichte ist er bereits verstorben. Ein namenloser Journalist, der Jonah genannt werden will, versucht als Ich-Erzähler, die Nachkommen dieses Wissenschaftlers zu interviewen, um Material für ein Buch zu sammeln.

Hierzu reist er auf eine fiktive karibische Insel namens San Lorenzo. Läge sie in Europa, ginge sie wohl als Operettenstaat durch. Dort trifft er auf die drei Nachkommen von Dr. Hoenikker. Einer von ihnen, Franklin »Frank«, ist »General«, in Wirklichkeit Vizepräsident des Diktators »Papa« Monzano. Die beiden anderen, Angela und Newton, leben in einem luxoriösen Anwesen abseits der Stadt.

Im Verlauf seiner Untersuchungen stößt Jonah darauf, daß Dr. Felix Hoenikker der Welt etwas weitaus tödlicheres hinterlassen hat als die Atombombe: Eine Wassermodifikation namens »Eis 9« mit einem Schmelzpunkt von 55°C. Sie ist invasiv und läßt flüssiges Wasser augenblicklich gefrieren. Jedes der drei Kinder besitzt ein versiegeltes Fläschchen mit einigen Kristallen dieser Substanz.

Die namensgebende Cat’s Cradle, wörtlich Katzenwiege, ist ein Geschicklichkeitsspiel mit über die Finger gespannten Fäden, die von einer zweiten Person nach bestimmten Regeln abgenommen werden müssen. In meiner Kindheit haben wir das oft gespielt und ich war fasziniert von den Mustern, die man bei kreativer Auslegung der Regeln erhielt.

In der Geschichte taucht sie an mehreren Stellen auf. Unter anderem malt Newton »Newt« Hoenikker ein Bild, das er so nennt. Eine Schlüsselrolle kommt der Katzenwiege in der Geschichte aber nicht zu.

Bestimmender ist da ein Kult der Inselbewohner, der sich Bokomonismus nennt. Neben einigen exotischen Ritualen, zum Beispiel Füßeln, gibt es ein Buch, aus dem häufig zitiert wird und das meiner Meinung nach im wesentlichen aus sich gegenseitig widersprechenden Thesen besteht.

Gut, das können einige Weltreligionen auch. Im Gegensatz zu denen leben die Bokomonisten aber in Frieden miteinander und selbst der Konflikt des Kultgründers Bokomon mit dem Diktator »Papa« Monzano wird lediglich zelebriert, ohne daß jemand dabei zu Schaden kommt. Ich finde die häufigen Zitate aus dem Buch Bokomon eher humorvoll und mußte des öfteren lächeln.

Am Ende siegt die menschliche Dummheit. Wenn gleich drei Leute eine Substanz besitzen, die die Welt auslöschen kann, was wird dann wohl zwangsläufig geschehen?

Mit den Untiefen der Physik hält sich der Autor dabei nicht auf. Die Herkunft von Eis 9 lautet »Gott-weiß-woher«. So steht’s im Roman. Auch der Gefriervorgang – laut der Geschichte augenblicklich – widerspricht physikalischen Gesetzen, vor allem wenn es dabei um etwas wie die Weltmeere geht.

Das hat mich beim Lesen der Geschichte aber nur wenig gestört. Ich habe mich amüsiert und vergebe gerne vier von fünf Sternen für dieses prophetische Meisterwerk. Die bittere Ironie vor allem des Schlusses entspricht genau meiner Sichtweise der Dinge. Ich wünschte mir lediglich bessere Englischkenntnisse, um noch mehr inhaltliche Feinheiten verstehen zu können.

Zum Schluß habe ich nur eine Frage: Warum gibt es keine Bokomonisten mehr? Die Welt wäre ein schönerer Ort mit ihnen.


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