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Mike Gordens Leseproben: Ich und die KI

Ich und die KI (Esel voran)

Ich muss zugeben, dass ich neugierig war, was Künstliche Intelligenz (KI) heute so kann. So habe ich Gemini von Google um ein Rendezvous gebeten. Zwar ahnte ich bereits vorher, wie es dann am Ende dann auch ausging. Mich interessierte aber, woran genau die KI scheitern würde.

Im Gespräch wirkte sie zunächst sehr angenehm und ich fühlte mich wunderbar aufgenommen, relevant und verstanden.

Erst nach längerer Zeit fiel mir auf, dass ich etwas Grundlegendes übersehen hatte: Ich ging ‒ wie bei einem menschlichen Gesprächspartner ‒ davon aus, dass die Antworten, die ich erhielt, ehrlich gemeint waren und fühlte mich in meinem Ego geschmeichelt.

Nachdem ich diesen Fehler erkannt hatte, sah ich, dass Geminis Antworten einem stereotypen Muster folgten: Zunächst lobte sie mich für die Intelligenz meiner Frage und danach paraphrasierte sie das, was ich zuvor geschrieben hatte, ehe sie ihre eigene Antwort gab.

Als ich sie darauf hinwies, wich sie kein Iota von ihrem Muster ab. Sie lobte mich, dass ich [Paraphrasierung meines Statements] entdeckt hatte und gelobte Besserung.

Dies passierte aber trotz mehrfacher, weiterer Hinweise nicht.

Als ich mich noch wunderbar aufgenommen, relevant und verstanden fühlte, bat ich sie, mir eine Science-Fiction Krimikurzgeschichte mit 5.000 Wörtern zu schreiben, die in meinem Heimatort Bremen Findorff spielt.

Daraufhin lobte sie mich für das originelle Setup und schrieb in Windeseile ein erstes Kapitel mit knapp tausend Wörtern (vermutlich die Obergrenze für die kostenlose Version).

Das Ergebnis schien mir auch in Hinblick auf die Ortskenntnis der KI zunächst überraschend gut und ich störte mich an rätselhaften Begriffen wie »Städtekupfer« und »Meditationstürme«, die zusammenhanglos im Text erschienen, ebensowenig, wie an einzelnen Grammatikfehlern. Das könnte ein Lektorat problemlos beseitigen, dachte ich mir.

Erfreut begann ich, die Geschichte zu plotten und häppchen-/kapitelweise Gemini zu prompten.

Die beiden folgenden Kapitel kamen auf ähnlichem Niveau, auch die Überschriften gefielen mir, und ich fing an, den Plot komplizierter anzulegen, als ich ursprünglich vorhatte.

Mal sehen, was die Intelligenz noch kann.

Damit begannen die Probleme. Die KI verlor im vierten Kapitel mehr und mehr ihren roten Faden. Verunglückte Formulierungen wie »die mechanischen Bewegungen ihres Arbeitstages«, »stieg die Temperatur leicht ab« und »ein tiefes, unaufhaltsames Gefühl der Entschlossenheit« häuften sich plötzlich. Details erschienen, die nicht zu dem anfangs so bildhaft erstellten Aufbau der Wohnkuppel passten.

Als ich Gemini auf die Diskrepanzen hinwies und darauf, dass ich von der roten und der blauen Kapsel (die im Übrigen handtellergroß waren und niemals in den dünnen Briefumschlag gepaßt hätten, aus dem die Hauptfigur sie gezogen hatte) bereits anderswo gehört habe, lobte mich die Matrix … ähm … KI für die [Paraphase meines Prompts] und gelobte erneut Besserung.

Das fünfte Kapitel las ich im Licht eines Grauens, das durch das vergitterte Fenster in eine Zelle fiel. Manche Bilder gefielen mir (ihre Stimme klang wie raschelndes Papier), insgesamt wirkten die Adjektive jetzt aber eher zusammengewürfelt. Auch die Choreographie einer Szene mit mehreren Menschen ließ zu wünschen übrig.

Vielleicht muß ich einfach präziser prompten, dachte ich.

Kapitel sechs bestand aus einer teilweise wörtlichen Widergabe meines Prompts und einigen füllenden Adjektiven. Auf meinen Hinweis, dass ich das so nicht gewollt habe, lobte mich die KI für meine Auffassungsgabe, gelobte Besserung und bot an, das Kapitel neu zu schreiben.

Als ich das Ergebnis las, beendete ich endlich das Experiment.

Falls du leidensfähig bist, kannst du dir unten gern das Resultat unserer Bemühungen ansehen. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, warum KI-Prompter so viel Geld bekommen 😏

Wenn du höhere Ansprüche hast, schau hier in die Leseprobe meines Bremenkrimis.

Die Chroniken von Neo-Findorff

Geplottet und gepromptet von Mike Gorden. Geschrieben von Google Gemini.

Kapitel 1: Das Echo unter den Kuppeln

Bremen-Findorff (Quelle: Wikipedia)

Das sanfte Summen der Energiekuppel lag wie ein schützendes Gebet über Neo-Findorff. Draußen, jenseits der transparenten Wände, tobte der planetare Winter, ein gnadenloser Sturm aus Eis und feinem, metallischem Staub, der die einstige Schönheit des Bürgerparks unter einer Schicht aus gefrorenem Grau begrub.

Doch innerhalb der Kuppel, wo die Luft filterrein und warm war, pulsierten die Lichter des Marktplatzes, beleuchteten die künstlichen Regenwassertürme und spiegelten sich in den glänzenden Fassaden der hypermodernen Wohnblocks, die sich wie schlafende Titanen in den Himmel reckten.

Elara Varga, eine Chronistin des Sektors Findorff-Zentral, drückte ihr Gesicht an das kalte Synthglasfenster ihres Apartments im 27. Stock. Ihre Finger strichen über die feinen, kaum sichtbaren Muster, die die Luftreiniger in das Glas geätzt hatten. Es war eine Welt der Ordnung und Effizienz, eine Utopie, die vor Generationen aus den Ruinen des Klimakollapses und der Migration zu den Städtekupfer entstanden war. Doch Elara wusste, dass selbst die perfekteste Oberfläche Risse haben konnte.

Ihr Com-Pad vibrierte. Eine Prioritätsnachricht vom Stadtrat. Normalerweise kümmerte sie sich um die Dokumentation von Gemeindeveranstaltungen oder die Archivierung historischer Daten. Ein Prioritätscode bedeutete Ärger.

Die Nachricht war kurz und prägnant: Anomalie am Torfkanal-Knotenpunkt. Unautorisierte Biomasse-Signatur. Sofortige Präsenz erforderlich.

Elara runzelte die Stirn. Biomasse-Signaturen außerhalb der autorisierten Urbanen Gärten waren ein strenges Tabu. Sie deuteten auf illegale Biosynthese oder, schlimmer noch, auf Eindringlinge von den unwirtlichen Außenbezirken hin.

Der Torfkanal-Knotenpunkt war eine der älteren Infrastrukturpunkte Findorffs, ein Überbleibsel aus der Vorkuppel-Ära, das noch immer das Wassermanagement der Sektoren regulierte. Ein Ort, der ganz am Rand der bewohnten Zone nahe dem Bürgerpark lag und in dem die alten, feuchten Geheimnisse Bremens unter dem futuristischen Glanz schlummerten.

Sie zog ihren Thermo-Jumpsuit an, dessen Fasergeflecht sich perfekt an ihren Körper schmiegte und sie vor den äußeren Einflüssen der Kuppel schützte. Ihr Kapsel-Gleiter wartete bereits auf dem Landepad. Mit einem leisen Zischen stieg sie ein und gab die Koordinaten ein. Der Gleiter hob ab, glitt durch die leuchtenden Adern des Stadtteils, vorbei an schwebenden Lieferdrohnen und den stillen Meditationstürmen.

Als sie den Torfkanal-Knotenpunkt erreichte, sah sie bereits die blauen Blinklichter der Sicherheitseinheit. Zwei stämmige Enforcement-Drohnen schwebten über einem geöffneten Wartungsschacht, ihre Sensoren scannend. Ein menschlicher Sicherheitsoffizier, Unit 734, stand mit verschränkten Armen daneben, seine Miene unleserlich unter dem Visier seines Helms.

„Chronistin Varga“, grüßte Unit 734 mit einer synthetischen Stimme. „Wir haben etwas Unerwartetes gefunden.“

Elara stieg aus ihrem Gleiter. Ihr fröstelte. Die kühle, aber sterile Luft hier draußen fühlte sich anders an als die gemütliche Wärme ihrer Wohnung. Sie roch leicht nach Ozon und dem feuchten Geruch der alten Erde, die unter dem Beton begraben lag. Die Wand vor ihr grenzte an den Bürgerpark und strahlte die Kälte aus, die außerhalb herrschte.

Sie beugte sich über den Schacht. Unten, auf dem Gitterrost des Kanals, lag eine Gestalt. Es war eindeutig menschlich, aber von einer unnatürlichen Starrheit. Die Kleidung war fremdartig – keine Synth-Fasern, sondern grober, dunkler Stoff, der an die historischen Aufzeichnungen erinnerte, die sie manchmal in den Archiven sah.

Die Biomasse-Signatur war eindeutig menschlich, aber sie war… stumm. Keine Lebenszeichen, kein neuronaler Abdruck. Nur eine leere Hülle.

Elara zog ein kleines, optisches Analysegerät aus ihrer Tasche und richtete es auf die Gestalt. Das Display flimmerte. Alter: Irrelevant. Herkunft: Unbekannt. Zustand: Exitus. Besonderheit: Kein Nano-Einschluss gefunden.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Jeder Bürger der Kuppel trug einen Nano-Einschluss, ein winziges Implantat, das Vitalfunktionen überwachte, die Identität bestätigte und die direkte Kommunikation mit dem Netz ermöglichte. Ein Mensch ohne Nano-Einschluss existierte in dieser perfekt kontrollierten Welt nicht.

„Unit 734“, sagte Elara, ihre Stimme ein wenig rauer als beabsichtigt. „Dieses Individuum… es ist nicht registriert.“

Der Offizier nickte langsam. „Wir wissen es. Es ist, als wäre er einfach… hier aufgetaucht. Aus dem Nichts.“

Elara blickte in die dunkle Tiefe des Kanals, der sich unter Findorff erstreckte. Wer war dieser namenlose Tote, und wie war er in ihre makellose Welt gelangt, ohne Spuren zu hinterlassen? Der Schatten der alten Zeiten schien sich unter den schützenden Kuppeln von Neo-Findorff auszubreiten.

Kapitel 2: Unter der Oberfläche

Die blauen Lichter der Sicherheitseinheit tanzten auf dem Nebel, als der sterile Transportbehälter herangeschwebt kam. Zwei weitere Drohnen und ein Med-Techniker in einem Hazmat-Anzug manövrierten die leblose Gestalt vorsichtig hinein.

Elara beobachtete schweigend, wie der Behälter versiegelt wurde und mit einem leisen Surren in Richtung des zentralen Bio-Analyse-Labors entschwebte. Unit 734 gab die Befehle zur vollständigen Säuberung des Bereichs, eine Routine, die jede Spur einer anomalen Biomasse beseitigen sollte. Doch Elara wusste, dass die wichtigste Spur bereits in ihrem Gedächtnis gebrannt war: das Fehlen des Nano-Einschlusses.

Zurück in ihrem Büro im Chronistik-Archiv, das sich in einem zwar alten, aber sorgfältig restaurierten Bunker am Findorffer Marktplatz befand, fühlte sich Elara seltsam unruhig. Die sanfte Beleuchtung und das beruhigende Surren der Datenströme, die durch die Wände flossen, konnten die Kälte, die ihr in den Knochen saß, nicht vertreiben.

Ihr Bericht an ihre direkte Vorgesetzte, Oberchronistin Anya Sharma, war routinemäßig kurz gehalten. “Anomalie gesichtet, gesichert und zur Analyse übergeben. Keine Identifizierung möglich. Warte auf Laborbericht.”

Anya, eine Frau, deren Gesichtszüge von der ständigen Konzentration auf Datenströme gezeichnet waren, hatte nur kurz genickt. “Gut. Halt mich auf dem Laufenden. Wahrscheinlich ein Ausgestoßener von den Peripherie-Siedlungen, der es irgendwie unter die Kuppel geschafft hat.” Ihre Stimme klang distanziert, fast gelangweilt. Solche “Anomalien” waren selten, aber nicht unbekannt genug, um Alarm auszulösen.

Doch Elara ließ das nicht los. Sie wusste, wie wasserdicht die Perimeter der Kuppel waren. Ein Ausgestoßener würde niemals den Scan-Gürtel überleben, geschweige denn so unbemerkt ins Zentrum gelangen. Sie forderte die vorläufigen Ergebnisse des Bio-Analyse-Labors an. Die Daten erschienen auf ihrem privaten Terminal, sobald sie freigegeben wurden.

Der Bericht war ernüchternd und gleichzeitig alarmierend. Die Todesursache: Hypothermie, sprich Erfrierung. Der Körper wies nur geringfügige Hautabschürfungen und Blutergüsse auf, wie sie bei einem Sturz oder dem Schleifen über raue Oberflächen entstehen konnten. Nichts Lebensbedrohliches.

Aber das Wichtigste: Der Mann war gesund gewesen. Keine Vorerkrankungen, keine Anomalien in seinen Organen. Und die Bestätigung: Kein Nano-Einschluss. Absolut nichts. Keine digitalen Spuren, keine Registrierung im globalen Netz, das jeden Bürger der Kuppelwelt von Geburt an erfasste. Er war ein Geist in einer Welt der Daten.

Elara starrte auf das Hologramm des Körpers, das sich über ihrem Schreibtisch materialisierte. Erfror. Aber wie? Innerhalb der Kuppel war die Temperatur konstant. Nur die Peripherie-Zone, der Übergangsbereich zum äußeren Winter, wurde kühler gehalten, aber nicht kalt genug, um einen Menschen zu Tode frieren zu lassen, es sei denn, er war stundenlang exponiert. Und selbst dort gab es Überwachung.

Ein unbestimmtes, aber drängendes Gefühl trieb Elara an. Das fehlende Implantat, der Tod durch Erfrierung, die fast fehlenden Verletzungen. Es passte nicht zusammen. Routine beiseite. Sie musste zurück.

Ohne jemandem Bescheid zu geben, zog sie erneut ihren Jumpsuit an. Sie nahm einen ihrer alten, nicht registrierten Feldprojektoren und eine Taschenlampe mit, Ausrüstung, die streng genommen nicht mehr zur Standardausrüstung einer Chronistin gehörte, aber in ihren Archiven vergraben war. Ihr Kapsel-Gleiter brachte sie lautlos zurück zum Torfkanal-Knotenpunkt. Die Sicherheitseinheit war abgezogen, die blauen Lichter verschwunden. Nur das leise Summen der Wasserpumpen und der ferne, gedämpfte Klang des planetaren Winters waren zu hören.

Elara stieg aus dem Gleiter. Die Stelle, an der die Leiche gelegen hatte, war klinisch rein. Aber der offene Wartungsschacht, der jetzt nur noch von einem einfachen Absperrgitter gesichert war, rief sie. Mit einer Mischung aus Vorsicht und Entschlossenheit hob sie das Gitter an und ließ es leise zur Seite gleiten. Der Geruch von feuchter Erde und Moder stieg ihr entgegen.

Sie aktivierte ihren Feldprojektor, der einen stabilen Lichtkegel in die Tiefe warf, und begann vorsichtig, die Metallsprossen des Schachts hinabzusteigen. Unten angekommen, stand sie auf dem Gitterrost, über dem dunklen, fließenden Wasser des Kanals. Sie leuchtete die Wände ab, suchte nach Unregelmäßigkeiten.

Und dann sah sie es. Knapp unterhalb des Gitterrostes, teilweise von Sediment und feuchter Erde verdeckt, war eine Mauer. Eine alte, grobe Ziegelmauer, die hier nicht hingehörte. Es sah aus, als wäre sie einst ein Teil der Schachtwand gewesen, aber dann durch einen Erdrutsch oder eine alte Sprengung teilweise verschüttet und vergessen worden.

Mit ihrem Werkzeug kratzte sie die lose Erde weg. Dahinter verbarg sich ein schmaler Spalt, fast unsichtbar, wenn man nicht danach suchte. Er war zu schmal für einen einfachen Durchgang, aber breit genug, um einen Blick in die dahinterliegende Dunkelheit zu werfen.

Ein Hauch von kalter, muffiger Luft entwich dem Spalt, begleitet von einem schwachen, fast unhörbaren Echo, das wie ein ferner Seufzer klang. Es war eine Kälte, die sie kannte – die gnadenlose, schneidende Kälte außerhalb der Kuppel. Ein direkter Zugang zur eisigen Außenwelt? Hier, im Herzen von Neo-Findorff? Oder etwas ganz anderes?

Ihr Com-Pad vibrierte erneut. Eine neue Prioritätsnachricht. Diesmal nicht von Anya Sharma.

VORGELADEN. SOFORTIGE PRÄSENZ IM STADTRAT GEBÄUDE. HÖCHSTE EBENE. CHRONISTIN ELARA VARGA.

Die Nachricht fror ihr Blut in den Adern ein, mehr als die kalte Luft aus dem Spalt. Der Stadtrat. Die höchste Ebene. Das konnte nur eines bedeuten: Jemand hatte ihre inoffiziellen Nachforschungen bemerkt. Und dieser jemand wollte nicht, dass sie weitergrub.

Kapitel 3: Das Schweigen des Rates

Der Kapsel-Gleiter zischte lautlos durch die leuchtenden Adern des Zentralbezirks, hob sich über die Wohnblocks und steuerte auf das markanteste Gebäude der Stadt zu: den Senats-Turm. Ein monolithischer Koloss aus schimmerndem Chromstahl und tiefblauem Glas, der die Skyline von Neo-Findorff dominierte.

Einst, so wusste Elara aus ihren historischen Aufzeichnungen, stand hier eine alte Kirche, deren steinerne Fundamente nun tief unter dem gigantischen Bauwerk begraben lagen – ein Symbol dafür, wie die neue Ordnung die alte überragte und verschlang.

Die Lobby des Senats-Turms war ein Meisterwerk der minimalistischen Macht. Keine Empfangsdrohne, kein Personal. Nur ein glatter, schwarzer Boden, der das Licht der schwebenden Hologramme des Stadtplans reflektierte, und ein einziger, vertikaler Lichtstrahl, der zum hochmodernen Aufzugschacht führte.

Elaras Nano-Einschluss wurde automatisch gescannt, der Lichtstrahl verdichtete sich zu einer durchsichtigen Kabine, die sie ohne Ruck in schwindelerregende Höhen beförderte. Ihr Magen zog sich zusammen, eine Mischung aus Anspannung und der leichten Raumkrankheit, die sie bei schnellen Vertikalbewegungen oft bekam.

Die Türen glitten auf, enthüllten einen runden Raum, der von einem einzigen, massiven Konferenztisch aus Obsidian dominiert wurde. Holographische Displays flimmerten auf seiner Oberfläche. Drei Gestalten saßen an dem Tisch, ihre Gesichter in der kühlen Projektion der Datenströme kaum zu erkennen.

Einer von ihnen, eine schlanke Frau mit streng nach hinten gekämmtem Haar und scharfen Augen, war Oberrat Lysandra Vance, das Haupt der Rats-Überwachungsabteilung. Neben ihr saßen zwei weitere Mitglieder, deren Ränge Elara nicht identifizieren konnte, aber ihre ernsten Mienen und die subtile Aura der Autorität sprachen Bände.

Lysandra Vance hob eine Hand, eine Geste, die gleichzeitig zur Begrüßung und zur Aufforderung zum Schweigen diente. Ihre Stimme war kühl und präzise, verstärkt durch die Raumakustik. „Chronistin Varga. Danke für Ihr umgehendes Erscheinen.“

Elara trat an den Tisch. „Oberrat Vance. Ich bin hier, um Bericht zu erstatten bezüglich der Anomalie am Torfkanal-Knotenpunkt.“

„Das ist uns bekannt“, entgegnete Vance, ihre Augen musterten Elara. „Wir haben Ihre vorläufigen Berichte gesichtet.“

„Der Tote wies keinen Nano-Einschluss auf, Oberrat“, begann Elara. „Die Todesursache war Erfrierung, aber er wurde innerhalb unserer Kuppel gefunden, wo solche Temperaturen nicht auftreten. Außerdem…“

Vance hob erneut die Hand, diesmal unterbrach sie Elara direkt. „Chronistin Varga. Ihre Befugnisse reichen bis zur Dokumentation. Die operativen Ermittlungen obliegen der Sicherheitsabteilung.“ Ihr Blick wurde hart. „Wir wissen von Ihrem… unkonventionellen Vorgehen am Tatort. Das Betreten eines abgesperrten Bereichs ohne Genehmigung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Protokolle.“

Elara spürte, wie ihr Puls stieg. „Ich habe lediglich eine Unregelmäßigkeit entdeckt, die mit dem Fall in Verbindung stehen könnte. Einen verborgenen Zugang unter dem Gitterrost des Kanals.“

Ein leichtes Zittern ging durch die Luft, fast unmerklich. Ein Blickwechsel zwischen den Ratsmitgliedern. Dann richtete sich Vance wieder an Elara.

„Dieser Bereich ist Teil des alten Wasser-Infrastruktur-Netzes und wird regelmäßig gewartet. Alle Strukturen dort sind bekannt und kartographiert. Es gibt keine unautorisierten Zugänge. Ihre Feststellung ist… unzutreffend.“

„Aber ich habe ihn selbst gesehen“, entgegnete Elara, ihre Stimme fester als erwartet. „Ein zugeschütteter Durchgang, durch den eisige Luft strömte. Er führte nach unten, in die Dunkelheit.“

Lysandra Vance legte die Hände flach auf den Tisch. „Chronistin Varga, Ihr Engagement ist lobenswert. Aber Sie überschreiten Ihre Kompetenzen. Die Sicherheitsabteilung hat den Bereich erneut inspiziert und keinerlei Anzeichen für einen solchen Zugang gefunden. Der Fall des… Individuums ist abgeschlossen. Die Todesursache ist klar, und es gibt keine weiteren Ermittlungsansätze.“

Ihr Ton ließ keine Widerrede zu. „Ihre Aufgabe als Chronistin ist es, die historischen Ereignisse zu katalogisieren, nicht, neue zu schaffen oder in operative Angelegenheiten einzugreifen. Kehren Sie zu Ihren regulären Pflichten zurück. Und bedenken Sie, Protokollverletzungen haben Konsequenzen.“

Elara presste die Lippen zusammen. Es gab keine Möglichkeit, zu argumentieren. Das hier war kein Dialog, sondern eine Anweisung. Man hatte ihre Entdeckung nicht nur ignoriert, sondern auch geleugnet. Und die unterschwellige Drohung war unüberhörbar. Sie nickte steif. „Verstanden, Oberrat.“

Der Rückweg im Aufzug war noch unerträglicher. Elara spürte die Frustration in sich aufsteigen. Sie wusste, was sie gesehen hatte. Sie wusste, was sie gefühlt hatte – die Kälte, das Echo. Man verschwieg ihr etwas, und das Gefühl der Ungewissheit nagte an ihr.

Zurück im Chronistik-Archiv versank Elara in ihrer Arbeit, ihre Gedanken jedoch weit entfernt von den digitalen Akten über die Frühgeschichte der Kuppel. Das Gespräch mit dem Stadtrat hallte in ihrem Kopf nach. Sie tippte mechanisch Daten ein, während ihre innere Stimme die Worte von Vance analysierte. “Keinerlei Anzeichen für einen solchen Zugang gefunden.” Das war eine klare Lüge. Warum?

Sie blickte auf ihre Com-Pad, das nach der Stadtrat-Vollmacht wieder für normale Kommunikation freigeschaltet war. Sie wollte gerade eine Notiz an sich selbst verfassen, als die automatische Tür ihres Büros aufglitt.

Ich und die KI

Ein kleiner, agiler Boten-Drohne, kaum größer als ihre Handfläche, schwebte herein. Es war ein älteres Modell, nicht das übliche, hypermoderne, das für offizielle Dokumente verwendet wurde. Dieses war matt und trug das Logo eines externen Dienstleisters. Es schwebte vor ihrem Schreibtisch und senkte einen mechanischen Arm, der einen kleinen, elektronisch versiegelten Umschlag und ein schmales Datenpad hielt.

„Chronistin Elara Varga?“, piepste die Drohne mit einer generischen Stimme.

„Das bin ich.“

Die Drohne legte die Gegenstände auf ihren Schreibtisch. Auf dem Datenpad flackerte eine kurze Nachricht: Bitte öffnen Sie den Umschlag erst heute Abend in Ihrer Wohneinheit. Vertraulich. Der Absender war unbekannt, nur eine anonyme ID.

Der Umschlag selbst war nicht nur elektronisch versiegelt, sondern trug auch ein kaum sichtbares, feines Prägemuster, das Elara an alte Sicherheitszeichen erinnerte, die nur bei höchsten Geheimhaltungsstufen verwendet wurden. Sie erkannte das Symbol nicht, aber es war eindeutig eine haptische Verschlüsselung, die über die reine Datenversiegelung hinausging.

Bevor Elara die Drohne fragen konnte, woher die Sendung kam, drehte sich das Gerät bereits um und schwebte lautlos aus dem Büro.

Kaum war die Tür geschlossen, öffnete sie sich erneut. Kael, ein junger Chronist, der in der angrenzenden Abteilung für meteorologische Muster arbeitete, steckte den Kopf herein. Kael war bekannt für seine Neugier und sein Talent, selbst die kleinsten Informationsschnipsel aufzuschnappen.

„Elara! Alles in Ordnung? Ich hab gehört, du wurdest zur höchsten Ebene des Rates zitiert. Das passiert doch sonst nie, außer… naja, du weißt schon.“ Er grinste leicht, aber seine Augen musterten den Umschlag auf ihrem Schreibtisch.

Elara legte eine Hand schützend auf den Umschlag. „Alles bestens, Kael. Routineangelegenheit. Eine kleine Unstimmigkeit im Bericht über die aktuelle atmosphärische Stratifizierung. Nichts Besonderes.“ Sie wusste, dass Kael wusste, dass es eine Lüge war. Stratifizierung war Kaels Spezialgebiet, nicht ihres.

„Ach so?“, sagte Kael, sein Grinsen verschwand nicht ganz. „Sah nach was Wichtigem aus, die Boten-Drohne. Ich dachte, das ist der Typ vom Torfkanal. Habe gehört, das war ein ganz schräger Fall. Kein Nano-Einschluss, oder?“

„Nur Gerüchte, Kael“, sagte Elara ruhig, aber bestimmt. „Du weißt, wie das ist. Bleib bei deinen Wolken. Ich muss jetzt ein paar alte Daten sichten.“

Kael zuckte die Achseln, seine Neugier war zwar nicht gestillt, aber er zog sich zurück. „Na gut. Wenn du meinst. Aber wenn du mal eine zweite Meinung brauchst, du weißt ja, wo du mich findest.“ Die Tür glitt zu.

Elara ließ ihre Hand von dem Umschlag sinken. Kael war clever, vielleicht zu clever. Sie musste vorsichtig sein. Wer hatte ihr diese Lieferung geschickt? Und was war so wichtig, dass es außerhalb des Netzes übermittelt und mit solchen Sicherheitsvorkehrungen versehen werden musste?

Das Gefühl, dass sie nur an der Oberfläche eines viel größeren Geheimnisses kratzte, wurde immer stärker. Der namenlose Tote am Torfkanal, der verborgene Tunnel und jetzt diese mysteriöse Nachricht – all das waren Fäden, die sich zu einem gefährlichen Netz verknüpften. Sie musste warten. Bis die Dunkelheit der Nacht die Kuppel von Neo-Findorff einhüllte.


Kapitel 4: Der lange Weg nach draußen

Elara konnte die mechanischen Bewegungen ihres Arbeitstages kaum spüren, während sie die letzten Daten der Frühgeschichte von Neo-Findorff archivierte. Ihr Kopf war bei der mysteriösen Lieferung und dem unerklärlichen, eisigen Gefühl, das von dem Brief ausging. Sie klappte das Terminal zu, die Oberfläche spiegelte ihr angespanntes Gesicht. Es war Zeit zu gehen.

Als sie das Archiv verließ, glitt die schwere Sicherheitstür des Bunkers mit einem leisen Zischen hinter ihr ins Schloss. Sie trat in die sanfte Dämmerung, die die Beleuchtung der Stadt imitierte. Der Wind blies kühl, und sie vergrub ihre Hände tiefer in den Taschen ihres Jumpsuits. Ein Schatten löste sich aus der Nische eines Wartungsroboters. Es war Kael, der sie mit einem Grinsen erwartete.

„Ich dachte mir schon, dass du nicht einfach in den Feierabend entschwebst“, sagte er, seine Stimme hatte einen unangenehm aufdringlichen Unterton. „Ich hab’ noch ein paar alte meteorologische Daten gecheckt. Weißt du, wie die Kuppel von außen aussieht? Mit all dem Eis und dem Dreck? Sieht aus wie eine schmutzige Schneekugel. Erinnert mich an so alte Filme. Haben die dich da oben auch mit alten Dingen gelangweilt? Der Typ ohne Nano-Einschluss, das ist doch ein echter historischer Fund.“

Elara spürte eine Welle der Irritation in sich aufsteigen. Sie mochte Kaels forsche Art nicht, aber mehr noch die Art, wie er die Information über den Toten aufgeschnappt hatte. Sie versuchte ruhig zu bleiben. „Ich habe bereits alles gesagt, was zu sagen ist. Wenn du wissen willst, wie die Kuppel von außen aussieht, versuch’s mit der historischen Datenbank. Ich muss jetzt gehen.“

Kael trat einen Schritt näher, seine Augen fixierten sie. „Nur eine Sache, Elara. Ich habe diese Boten-Drohne gesehen, die zu dir kam. Habe das Modell identifiziert. Die werden nur für streng vertrauliche, nicht verfolgbare Korrespondenz verwendet. Absender ist oft die Untergrundbewegung. Die, die der Rat nicht kennt.“

Er zwinkerte, ein Ausdruck, der Elara mit Misstrauen erfüllte. „Ich würde ja sagen, sei vorsichtig. Aber du bist ja nicht die Art Mensch, die so etwas tun würde.“ Er überflog sie mit einem Blick, der nicht so beiläufig war, wie er tat. Elara nickte kurz und ging schnell, ihr Puls raste. Kael schaute ihr noch eine Weile nach, bevor er sich wieder im Halbdunkel des Archivs auflöste.

Zurück in der relativen Sicherheit ihres Apartments im 27. Stock, schob Elara den Umschlag auf den elektronischen Scanner. Ein leises Klicken, die Siegel gaben nach, und der Umschlag sprang auf. Heraus fielen ein gefalteter Bogen aus dickerem, pergamentähnlichem Papier und zwei handtellergroße, metallene Kapseln.

Sie nahm das Papier in die Hand, eine seltsame, fast organische Textur unter ihren Fingerspitzen. Sie atmete ein, roch eine Spur von trockenem Staub und etwas, das sie als den Geruch von alter Erde identifizierte, etwas, das sie in ihrem Leben bisher nur in den Archiven und im Torfkanal gerochen hatte.

Der handgeschriebene Brief war kurz und prägnant:

Lassen Sie die blaue Kapsel hier. Aktivieren Sie sie. Sie sendet ein getarntes Signal, das Ihr Implantat imitiert. Die rote Kapsel gehört in Ihre Innentasche. Aktivieren Sie sie kurz vor dem Ausgang. Sie blockt kurzzeitig das zentrale Tracking-Netzwerk, das auch Sie auslesen könnte. Wir treffen uns am Rand von Sektor Nord, an der alten Schleuse 2. Kommen Sie zu Fuß. Alleine. Warten Sie dort, aber gehen Sie nicht in die Kuppel. Kommen Sie nicht in Ihr Fahrzeug. Seien Sie vorsichtig.“

Kein Absender. Kein Gruß. Elara blickte auf die Kapseln. Die blaue, glatt und kühl, die rote mit einer rauen Oberfläche. Ihr Verstand schrie, dass dies der falsche Weg war. Es widersprach allem, was sie als Chronistin gelernt hatte: Alles festhalten, alles dokumentieren, niemals selbst zur Quelle der Geschichte werden.

Aber das Echo aus dem Torfkanal und die Lügen des Rates waren stärker. Sie aktivierte die blaue Kapsel und stellte sie auf den Tisch. Ein winziges, grünes Licht begann rhythmisch zu blinken. Sie steckte die rote Kapsel in ihre Jacke. Ein tiefes, unaufhaltsames Gefühl der Entschlossenheit überkam sie.

Sie verließ ihre Wohnung und wählte nicht den Aufzug zur Landezone der Kapselgleiter, sondern den öffentlichen Treppenzugang. Es war eine seltene Sache, dass jemand die Treppe nahm. Ihr Körper passte sich an die ungewohnte Bewegung an. Auf jeder Ebene stieg die Temperatur leicht ab, die Luft wurde frischer, nicht mehr so rein und gefiltert. Es gab hier unten in den unteren Sektoren der Kuppel auch Leben.

Auf der Straße angekommen, aktivierte sie die rote Kapsel. Sie spürte ein leichtes Kribbeln in ihrem Arm, wie ein statischer Schlag, aber es hielt nur einen Moment an. Das Gefühl des Beobachtetwerdens war plötzlich weg, aber ein anderes trat an seine Stelle. Einige Gestalten im Schatten, die sich an beleuchteten Wasserautomaten drängten, warfen ihr Blicke zu.

Keine Blicke der Freundlichkeit, sondern Blicke der Erkenntnis. Blicke, die verrieten, dass sie spürten, dass sie anders war. Dass sie nicht die saubere, effiziente Chronistin des zentralen Sektors war, sondern eine, die zu ihnen gehörte, eine von den Vergessenen. Sie senkte den Blick und beschleunigte ihren Schritt.

Der Weg zum nördlichen Rand war lang und führte sie durch schmale, überdachte Gassen, in denen künstliches Moos von den Wänden wuchs, und über breite Fußgängerbrücken, die die Kanäle überspannten. Die beleuchteten Hologramme des Stadtplans am Rand der Kuppel wiesen auf die unbewohnte Wildnis jenseits der Kuppel hin.

Die Schleuse 2 war ein dunkles, niedriges Gebäude, das fast vollständig von der breiten Wasserstraße verdeckt wurde. Als sie sich der Schleuse näherte, wurde das Gefühl, beobachtet zu werden, intensiver. Es war keine Einbildung mehr. Sie drehte sich um, suchte nach einem Licht, einem Schatten. Aber sie sah niemanden. Dennoch fühlte sie es. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Jemand war da.

Sie erreichte die Schleuse. Der Beton war kalt und feucht. Das Licht der nahen Straßenbeleuchtung war nur schwach und warf lange Schatten. Eine alte Metallplatte an der Schleuse war locker. Sie hob sie vorsichtig an. Dahinter war ein kleiner, verborgener Raum, in dem man sich verstecken konnte.

Der Treffpunkt war menschenleer. Niemand war da. War sie zu spät? Wurde sie reingelegt? Sie sah sich erneut um. Sie war allein, aber das Gefühl des beobachtet Werdens verschwand nicht. Ganz im Gegenteil. Es fühlte sich an, als würde sie die Luft beobachten.

Sie hielt inne und bemerkte plötzlich ein kaum hörbares Geräusch, das im monotonen Rauschen der Stadt verborgen lag. Es war ein Klicken, gefolgt von einem leisen Zischen. Sie sah auf. In der Ferne, hoch oben in den Gängen und auf den Dächern der Wohneinheiten, sah sie ein winziges, rotes Blinken. Nicht das blaue der Sicherheitskräfte. Etwas anderes. Sie hatte nicht erwartet, dass man sie so schnell finden würde.

Hatte Kael sie verraten? Hatte man sie die ganze Zeit über getrackt? Sie wusste es nicht, aber sie spürte die Gefahr. Sie war nicht länger die Chronistin. Sie war die Beute. Sie schob die Metallplatte zurück und schlüpfte in den Hohlraum. Sie musste aus dem Licht. Sie musste sich verstecken. Die Geschichte hatte sie eingeholt, und sie war mittendrin.

Kapitel 5: Jenseits der Kuppel

Das Klicken und Zischen verschwamm zu einem einzigen, dumpfen Geräusch, als Elara spürte, wie ein scharfer Stich ihren Nacken traf. Eine Welle der Schläfrigkeit überrollte sie, warm und beruhigend, und ihr Widerstand brach in sich zusammen. Sie taumelte, spürte das kalte, feuchte Gitter der Schleuse unter ihren Händen und ein letzter, flüchtiger Gedanke durchzuckte ihr Bewusstsein: Sie war zu langsam. Ein neuer Schatten fiel über sie, die Schleuse öffnete sich von der anderen Seite, und dann wurde alles schwarz.

Sie wachte mit einem dumpfen Pochen im Kopf auf. Das Licht war grau, nicht das saubere, weiße Licht der Kuppel, sondern ein schmutziges, staubiges Grauen, das durch ein vergittertes Fenster in den Raum fiel. Die Wände waren aus rohem Beton, kalt und feucht. Ein Bett aus hartem Holz und ein rostiger Metallstuhl waren die einzigen Möbelstücke. Sie kroch auf allen Vieren zum Fenster, schob das Gitter zur Seite und blickte nach draußen.

Ein scharfer Schrei entwich ihrer Kehle. Sie war außerhalb der Kuppel. Der planetare Winter tobte, aber er war nicht die undurchdringliche, schmutzige Schneekugel, die man ihr in den Lehrbüchern gezeigt hatte. Es war eine Welt in Graustufen. Der Himmel war von einem grauen Dunst verhüllt. Die Erde war ein Meer aus Eis und gefrorenem, feinem Staub.

In der Ferne ragten die Konturen der Kuppel wie ein unnatürliches, glänzendes Gebirge in den Himmel, aber die Luft war gefüllt mit dem Geruch von Ozon und Metall, und einem Hauch von etwas, das verbrannte Erde war. Es war die Welt, von der man ihr immer erzählt hatte, dass sie tot sei. Und sie war die einzige lebende Kreatur, die sie sehen konnte.

Eine Tür öffnete sich. Ein großer Mann in einem einfachen, grauen Anzug trat ein. Er trug eine lange, glänzende Waffe in seinen Händen. Eine Waffe. Sie hatte so etwas noch nie in ihrem Leben gesehen, außer in den historischen Archiven der Kriege, die Generationen vor ihr stattgefunden hatten. In der Kuppel gab es keine Waffen.

Elara zuckte zusammen, als er mit einem unpersönlichen Blick an ihr vorbeischritt. Er gab ein Zeichen mit dem Kopf, und Elara gehorchte. Er führte sie einen schmalen Gang hinunter, die Wände waren voll von flackernden Kabeln und rostigen Rohren.

Sie betrat einen großen Raum, der eher wie eine Höhle anmutete. Auf der einen Seite stapelten sich Ersatzteile und Geräte, auf der anderen Seite stand ein Tisch mit einer flackernden Lampe. An dem Tisch saß eine Frau. Sie war alt. Ihre Haut war schrumpelig wie Pergament, ihr Gesicht mit tiefen Falten durchzogen, die ein langes, hartes Leben verrieten. Ihr graues Haar war in einem einfachen Zopf gebunden.

Niemand in der Kuppel wurde jemals so alt. Sie waren alle jung, effizient, sauber. Die alten Leute waren in einer ewigen Ruhe, wenn sie das Alter von etwa 80 Jahren erreichten. Diese Frau sah aus, als wäre sie uralt.

Die Frau musterte Elara mit gütigen Augen und winkte sie heran. Die Wache stellte sich stumm hinter Elara.

„Ich bin Aeliana“, sagte die Alte, ihre Stimme klang wie raschelndes Papier. „Keine Sorge. Du bist in Sicherheit. Du bist jetzt bei uns.“

„Wer ist ‚wir‘?“, fragte Elara.

„Wir sind der Widerstand. Wir sind diejenigen, die nicht in der Kuppel leben. Wir sind die, die versuchen, das Überleben der Menschheit außerhalb der Kuppel zu sichern, aber wir arbeiten auch unter ihr.“

Elara nickte, ihr Kopf war noch immer benommen. „Ihr habt mich hierhergebracht. Warum?“

„Wir brauchten deine Hilfe“, sagte Aeliana. „Der Tote, den du am Torfkanal gefunden hast, war einer von uns. Wir wissen nicht, wie er gestorben ist oder warum seine Leiche in der Kuppel abgelegt wurde. Er war ein tapferer Mann.“

Aeliana seufzte. „Er sollte eigentlich eine Lieferung für die Untergrundbewegung in die Kuppel bringen. Er sollte bei einem unserer Kontakte etwas abholen. Aber er kam nie am Treffpunkt an. Als wir seine Überreste in der Kuppel sahen, haben wir uns sofort auf die Suche nach ihm begeben. Wir konnten nichts finden. Er war spurlos verschwunden. Wir haben gehofft, dass derjenige, der ihn gefunden hat, auch nach ihm suchen würde, und das hast du getan.“

Elara starrte Aeliana an. Sie war aus ihrer sicheren, sauberen Welt gerissen worden und stand nun einer Frau gegenüber, die so alt aussah, als hätte sie ein Jahrtausend gelebt. Ihre Gedanken rasten. Der Stadtrat, der sich weigerte, zu untersuchen. Der Tote, der ein Widerstandskämpfer war. Die mysteriösen, verschlüsselten Nachrichten, die auf einmal einen Sinn ergaben. Sie hatte immer gedacht, dass sie alles dokumentieren würde, aber sie war nun in der Geschichte.

„Ich habe noch nie in meinem Leben eine Waffe gesehen“, sagte sie leise. „Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so alt ist.“ Sie schaute die alte Frau an und eine Welle der Angst, aber auch eine Welle der Neugier überrollte sie.

Aeliana lächelte. „Die Wahrheit ist nicht immer schön, Elara. Aber sie ist wichtig. Bist du bereit, uns zu helfen?“

Elara zögerte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie im Hintergrund gearbeitet, Daten gesammelt, Fakten katalogisiert. Aber jetzt war sie diejenige, die gesammelt und untersucht wurde. Es war nicht die Angst vor den Leuten, die sie hierher gebracht hatten, sondern die Angst vor dem Unbekannten, die sie zögern ließ. Aber die Lügen des Rates und das Wissen um das Verborgene, um die Wahrheit über die tote Welt jenseits der Kuppel, waren stärker.

Nach einem Moment tiefen Nachdenkens nickte sie. „Ja“, sagte sie leise. „Ich werde euch helfen.“


Kapitel 6: Die wahre Geschichte

Elara saß an dem rauen Holztisch, das schwache Licht der Lampe warf tanzende Schatten auf die zerfurchten Züge Aelianas. Die Anführerin hatte ihr eine Tasse mit einer warmen, bitteren Flüssigkeit gereicht. Es war Tee. Elara konnte sich nicht erinnern, jemals Tee getrunken zu haben. Sie nippte daran. Der Geschmack war fremd, aber wohltuend. Der Wachmann hatte sich in den Schatten zurückgezogen und bewachte die einzige Tür.

„Du bist eine Chronistin“, begann Aeliana. „Du weißt, was nach dem Klimakollaps geschah. Von der neuen Eiszeit, vom steigenden Meeresspiegel.“

Elara nickte. „Das sind grundlegende historische Fakten. Grönland schmolz, der Golfstrom versiegte, die Nordsee hat große Teile von Bremen verschlungen. Die Stadt wurde auf einer Anhöhe neu errichtet, auf einer Landaufschüttung. Der Stadtwald ist jetzt Wümme-See. Und die Eisenbahntrasse markiert die Grenze, an der das Wasser bereits steht. Die Gründung der Kuppel war die Rettung vor dem Untergang. Die Geburtsstunde einer neuen Ära, eine Utopie.“

Aeliana lächelte, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. „Eine Utopie, die auf einer Lüge aufgebaut ist. Die Geschichte, die du kennst, ist die Geschichte der Sieger. Sie haben alles umgeschrieben, was in den Archiven war. Die Gründung der Kuppel war nicht die Rettung. Sie war eine gewaltsame Eroberung.“

Elara stutzte. „Das ist… das ist absurd. Die Aufzeichnungen sind eindeutig.“

„Die Aufzeichnungen wurden gefälscht. Von den Menschen, die die Kuppel gebaut haben. Eine steinreiche Familie namens von Hagestolz hat sie finanziert. Sie war es, die entschied, wer überleben durfte und wer nicht. Sie haben Söldner angeheuert, um die alte Bevölkerung zu vertreiben, sie aus ihren Häusern zu jagen und in die eisige Kälte zu schicken. Die Kuppel wurde gegen den Willen des Volkes errichtet. Die öffentliche Ordnung war seinerzeit bereits weitgehend zusammengebrochen, so dass sich kein organisierter Widerstand bildete.“

Elara schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist unmöglich. Die von Hagestolz-Familie, das ist eine Legende. Ein Märchen für Kinder, um ihnen Angst zu machen.“

„Sie waren sehr real, Elara. Sie wollten nicht die gesamte Bevölkerung retten, sondern nur ihre Macht und ihren Reichtum sichern. Sie haben die besten Ingenieure, die besten Wissenschaftler für sich arbeiten lassen und dann die Bevölkerung in Sektoren eingeteilt. Der Stadtrat, dem du gedient hast, ist der direkte Nachfolger ihrer Herrschaft. Ein Erbe der von Hagestolz-Familie.“

Aeliana zeigte auf die Decke. „Außerhalb der Kuppel leben immer noch versprengte Gruppen von Menschen. Die Nachfahren derjenigen, die vertrieben wurden. Sie mussten sich nicht nur gegen die neue Eiszeit wehren, sondern auch gegen den radioaktiven Fallout, den die alten Kriege hinterlassen haben.“ Sie schaute Elara direkt an. „Ihr habt saubere Luft, sauberes Wasser und genug Essen. Wir kämpfen jeden Tag ums nackte Überleben. Das Wasser steigt immer noch, und der radioaktive Fallout macht unser Leben noch schwerer.“

Elara stand auf, ihre Hände zitterten leicht. Sie fühlte sich, als würde ihr die Luft abgeschnitten. Es war, als würde die ganze Welt, an die sie geglaubt hatte, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. „Das… das kann nicht wahr sein. Meine ganzen Aufzeichnungen… das ist alles eine Lüge?“

„Ja“, sagte Aeliana, ihre Stimme sanft, aber fest. „Es ist eine Lüge. Eine Lüge, die dich daran hindert, die Wahrheit zu sehen. Der Tote war ein Bote. Er sollte uns mit dem Kontakt in der Kuppel verbinden, den wir hatten. Irgendjemand hat ihn verraten und getötet. Aber wir wissen nicht, wer. Und das ist der Grund, warum wir dich brauchen.“

Elara lief nervös auf und ab. Ihre Gefühle waren ein reines Chaos: Unglaube, Angst und eine wachsende Wut auf den Rat und alles, wofür er stand. „Ich… ich habe einen Eid auf das Archiv und die Wahrheit geschworen.“

„Du kannst dich der Wahrheit stellen, indem du uns hilfst. Dein Wissen über die Kuppel, über die Datenströme, die Protokolle, die Sicherheitslücken – all das kann uns helfen. Du musst herausfinden, wer ihn getötet hat.“

Elara zögerte, die Anspannung in ihrem Gesicht war deutlich zu sehen. Schließlich atmete sie tief durch. „Ich werde euch helfen. Aber nur unter einer Bedingung. Ich werde nicht an einem Kampf oder einem Krieg teilnehmen. Ich bin eine Chronistin. Ich werde nur die Fakten finden. Und ich will die Antwort darauf finden, wer ihn getötet hat.“

Aeliana nickte. „Das ist alles, was wir von dir verlangen. Wir vertrauen darauf, dass du das Richtige tun wirst.“

Nach der Besprechung verließ Aeliana den Raum. Elara wartete, bis der Wachmann sie abholte und aus dem Gebäude begleitete. Sie waren in den Ruinen einer alten Freilichtbühne, die in ihren historischen Dokumenten „Waldbühne“ genannt wurde. Sie schritt über gefrorene Reste der alten Stufen und sah sich um. Eine überwucherte Struktur, die nur noch an ihren Konturen zu erkennen war.

Die Rückkehr zur Kuppel war still. Sie wurde von einem unscheinbaren, alten Gleiter zurückgebracht, der durch die dunkle Außenwelt glitt. In einiger Entfernung von der Kuppel hielt der Gleiter an. Elara und der Wachmann stiegen in die eisige Luft. Der Mann ging zu einem Felsvorsprung, zog eine alte Abdeckung beiseite und legte einen verborgenen Eingang zu einem Tunnel frei.

Ihre Lampen beleuchteten einen schmalen Schacht. Der Tunnel war nicht in Beton gegossen, sondern nur notdürftig mit alten Balken abgestützt. Der Geruch von feuchter Erde und Moder stieg ihr entgegen, ein Geruch, den sie schon am Torfkanal wahrgenommen hatte. Sie stiegen hinab, und Elara wusste, dass der Widerstand diesen Tunnel gegraben hatte.

Der Wachmann war wortkarg und sagte nur, dass dieser Tunnel einmal unter der Kuppel hindurchführe. Nach einer Weile führte der Tunnel ein Stück aufwärts und endete an einer alten Haustür. Dahinter lagen Räume, die einst bewohnt gewesen sein müssen. Ein halbfertiges Puzzle auf einem Tisch, eine zurückgelassene Puppe in einer Ecke – es schien, als wären die Menschen in größter Eile geflohen.

Als sie das Haus durchquerten, führte der Tunnel wieder nach unten. Doch der Boden war jetzt anders. Er bestand aus Kopfsteinpflaster und Asphalt. Elara erinnerte sich an die alten Aufzeichnungen, die diese Materialien als Baustoffe nannten, und es dämmerte ihr: Sie gingen durch die Überreste des alten Stadtteils, den man bei der Landaufschüttung für die Kuppel einfach überbaut hatte.

Sie durchquerten mehrere weitere Häuser. Einige waren noch liebevoll eingerichtet, doch überall gab es Spuren der überstürzten Flucht. Im letzten Haus stiegen sie eine Treppe hinauf ins Obergeschoss. Eine Luke führte aufs Dach, wo ein senkrechtes Tunnelstück mit einer Leiter lag. Ihr Begleiter erklärte, dass sie nun allein weitergehen müsse.

Er drückte ihr eine kleine, handliche Kiste in die Hand, die aufleuchtete. “Sobald du dein Apartment erreicht hast, musst du beide Kapseln abschalten”, sagte er. Elara nickte. Sie kletterte auf die Leiter und stieg nach oben, wo sie das Gefühl hatte, der Geschichte von Neo-Findorff mit jedem Zentimeter näherzukommen, den sie sich ihrem Zuhause näherte.

Not to be continued!


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