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Rezension der GOR-Chroniken von John Norman
Der GOR Zyklus mit derzeit 38 Bรคnden benutzt das Konzept einer Gegenerde, sprich, eines zweiten Planeten auf der Erdbahn namens Gor, der sich aber immer von der Erde aus gesehen hinter der Sonne befindet und daher mit den Mitteln der sechziger Jahre, in denen die ersten Bรคnde des Zyklus entstanden, nicht auffindbar gewesen wรคre.
Die physikalischen Grundlagen solch einer Gegenerde sind zwar unsolide, zumal Gor etwas kleiner und leichter ist als die Erde und sich deshalb auf ihrer Bahn nicht halten kรถnnte. Dennoch finde ich die Science-Fiction des Zyklus auรerordentlich inspirierend.
Eine auรerirdische Spezies, die insektoiden “Priesterkรถnige”, haben eine Basis auf Gor errichtet und entfรผhren mit ihren Raumschiffen heimlich Menschen von der Erde, um den Planeten zu besiedeln.
Die dort von den Aliens errichtete menschliche Zivilisation ist antik bis frรผhmittelalterlich. Die Bevรถlkerung lebt in kriegerischen Stadtstaaten, die nach einem strengen Kastenwesen organisiert sind. Das Fundament dieser Gesellschaft basiert auf Leibeigenschaft und Sklaverei.
Die Priesterkรถnige erlauben zu ihrer eigenen Sicherheit auf Gor keine moderne Technik. Untereinander verstรคndigen sie sich durch ein reichhaltiges Bouquet von Geruchsstoffen. Diese Sprache ist menschlichem Denken so fremd, daร eine รbersetzungsmaschine nรถtig ist.
Ihre Gegenspieler sind die raubtierhaften “Kurii” (Singular: Kur), die, nach der Zerstรถrung ihrer eigenen Welt, auf der Suche nach einer neuen Heimat sind und glauben, sie auf Gor und der Erde gefunden zu haben.
Zum ersten Mal auf Gor gestoรen bin ich in den Nullerjahren auf Second Life, wo es eine groรe Community gab, die ihren virtuellen Lebensbereich nach der Landschaft, den Tieren und den Regeln der goreanischen Zivilisation geformt hatte. Erst spรคter habe ich mich in die Bรผcher eingelesen. Nach dem Niedergang von Second Life konzentrierte sich die virtuelle goranische Subkultur auf Counterearthgrid und andere Openworld-Konzepte.
Die Hauptfigur vieler Bรคnde ist der Brite Tarl Cabot, der von den Priesterkรถnigen nach Gor entfรผhrt wird und sich in dieser wilden Welt behaupten muss. Im Laufe des Zyklus entwickelt er sich weiter und wรคchst zu einer Art Mittelsmann zwischen den verfeindeten Alienpezies heran.
Bis dahin ist es aber ein langer und steiniger Weg. Nicht nur fรผr die Hauptperson, sondern auch fรผr den Leser.
Die weitschweifige Erzรคhlweise kenne ich bereits aus meiner Kindheit von den Werken Karl Mays. So schreibt man heute nicht mehr, ich mag das aber.
Schwer vermittelbar ist jedoch das Frauenbild des Autoren. Natรผrlich wurden auch in der Antike und im Mittelalter Frauen systematisch vergewaltigt und ich halte es fรผr legitim, darรผber zu schreiben. Selbst Grรถรen wie Ken Follet haben das getan.
Ob John Norman damit aber wirklich nur Tabus in der amerikanischen Gesellschaft aufbrechen wollte, bezweifle ich, denn abschnittsweise lesen sich die Beschreibungen, die einen groรen Teil des Werkes einnehmen, wie eine schrรคge Wichsfantasie.
Frauen sind in der goreanischen Gesellschaft hauptsรคchlich Sklavinnen der Mรคnner, tragen Halseisen und mรผssen einem strengen Verhaltenskodex folgen, wenn sie รผberleben wollen. Zwar kommen gelegentlich auch mรคnnliche Sklaven vor. Deren Geschicke enden aber ausnahmslos als Herren.
Das muss man mรถgen. Wegen der detaillierten und sexualisierten Beschreibungen goreanischen Zusammenlebens befanden sich viele (auch gekรผrzte) Bรคnde der Gor-Chroniken jahrzehntelang auch in Deutschland als pornographisch auf dem Index.

Wer sich in die Materie einlesen will, kann das aber tun. Der Atlantis Verlag bringt die ungekรผrzten Originaltexte seit einigen Jahren in deutscher รbersetzung neu heraus. Zum Zeitpunkt meiner Rezension ist Band 12 erschienen.
Die goreanische Subkultur ist auch heute noch lebendig, bemerkenswerterweise auch in der Schwulenszene. Sie ist stark BDSM-lastig, setzt dabei aber mehr auf das Prinzip von Dominanz und Unterwerfung, als auf Torturen zur Erlangung sexueller Lust.
Ich habe den Zyklus mehrere Male zu lesen begonnen, bin aber nie รผber Band zwanzig hinausgekommen. Wenn Tarl Cabot wieder einmal mit unterarmhafter Breite und Lรคnge eine Frau vergewaltigt und diese ihm hinterher vor Freude wimmernd dafรผr dankt, hilft es mir nicht einmal, diagonal zu lesen.
Schriftstellerisch finde ich das Gesamtpaket mittelmรครig, und zwar unabhรคngig davon, ob man solche Passagen mag oder nicht โ dreieinhalb von fรผnf Sternen.
Ich erkenne aber an, daร es sich bei Normans Werk um einen Klassiker der Science-Fiction handelt, der auch heute noch nachwirkt, nicht nur in der virtuellen Welt, sondern auch, u.a. in Form von Rollenspiel-Events, im wirklichen Leben. Nur wenige Schriftsteller kรถnnen das von ihrem Werk behaupten.
Nachwort: Wรคhrend ich die Rezension schrieb, habe ich darรผber nachgedacht, ob ich bei meinem eigenen BDSM-Thriller ยปEmpathยซ Anleihen im Gor-Universum genommen habe (habe ich nicht). Bei dieser Gelegenheit habe ich aber begriffen, dass ich keinen Grund habe, mich gegenรผber Norman auf ein moralisches Podest zu stellen, denn auch in ยปEmpathยซ wird vergewaltigt. Gerade im BDSM ist die Grenze zwischen einvernehmlich und nicht einvernehmlich nรคmlich nicht immer leicht zu ziehen und selbst ich habe wรคhrend des Schreibens gedacht, der Sex wรคre einvernehmlich.
Dazu aber an anderer Stelle mehr.
Bleib gespannt,
Dein Mike

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